Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Zierfische
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Münchener Tierärztlichen Gesellschaft - Rückblick auf die wissenschaftliche Sitzung am 23.7.2025

Tiermedizin & der Flügelschlag des Schmetterlings“

04.08.2025 um 00:00 Uhr

. . . lautete das bewusst kryptische Leitthema einer Veranstaltung der Münchener Tierärztlichen Gesellschaft (MTG, www.mtg1873.de) vom 23. Juli 2025 über Mensch-Tier-Interaktionen in der Tiermedizin, in welcher der sog. „Schmetterlingseffekt“ als Metapher für Überraschendes und die Unberechenbarkeit komplexer, deterministischer Systeme, wie sie neben der Wirtschaft und Biologie auch in der klinischen Tiermedizin gegeben sein kann, verwendet wurde.

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Im zweiteiligen wissenschaftlichen Vortragsprogramm thematisierte zunächst in einem sehr anspruchsvollen Referat Frau Prof. Dr. phil. Nicole J. Saam, Lehrstuhlinhaberin für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die „Tiermedizinische Triade“ und beleuchtete hierbei die komplexen, vielschichtigen und bislang sehr wenig wissenschaftlich untersuchten Interaktionen zwischen Tierbesitzer*innen – Tierpatient und Tierärzt*innen. Sie kam hierbei zu dem Schluss, dass die Tiermedizinische Triade kein unveränderlicher Interaktionszusammenhang ist, sondern jenseits der triadischen Grundstruktur Interaktions- und Beziehungsmuster wesentlich davon abhängen, wie darin Tierpatienten konstruiert werden. Dies sind damit soziale Rahmenbedingungen, welche in erheblichem Maße in rechtliche Vorgaben übergehen, welche Tierärzt*innen in ihren medizinischen Behandlungsmöglichkeiten einschränken.

Die neben den ordentlichen Mitgliedern der MTG und sonstige Gäste insbesondere an die Studierenden gerichtete Veranstaltung wurde bewusst progressiv konzipiert und entsprechend durch die aktuell als neue Doktorandin in den Arbeitsbereich Ophthalmolgie an die Klinik für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Zierfische aus Wien übersiedelte Tierärztin Isabella Grünberger mit viel Wiener Charme, sowie die als studentische Hilfskraft an der Klinik für Pferde und nun an der „Vogelklinik“ tätige Studierende Sophie Leitmaier, die sich als Studierende der Tiermedizin in einem „Leben zwischen 500 Kilogramm und 50 Gramm“ sieht, moderiert.

Der als Leitthema und Metapher verwendete Begriff des „butterfly effect“ wurde im Zusammenhang mit der Berechnung von Wettervorhersagemodellen durch einen Vortrag des US-amerikanischen Meterologen Lorenz geprägt, der 1972 vor der American Association for the Advancement of Science einen Vortrag mit dem provokanten Titel „Predictability: Does the Flap of a Butterfly’s Wing in Brazil set off a Tornado in Texas?“ hielt. Das Thema wurde 2004 durch die Filmindustrie in Hollywood mit einem sehr bekannten, gleichnamigen Fiction-Movie, „The Butterfly Effect“ mit Asthon Kutcher aufgenommen, in welchem der Hauptprotagonist zusammen mit seinen Freunden ein tragisches Ereignis verursacht und ein Tagebuch schreibt, mit Hilfe dessen er die Fähigkeit erlangt, in die Vergangenheit zurückkehren, um durch geringfügige, zunächst unscheinbare Änderungen das Geschehene rückgängig zu machen, um die Situation in der Zukunft für seine Freunde und sich zu verbessern – tatsächlich aber seine vordergründig geringfügigen erscheinenden Korrekturen überraschende und dramatische Auswirkungen nach sich ziehen. Damit entstand ein Film mit nicht weniger als vier offiziellen Schlussversionen, zwischen hollywoodtypisch „happy end“, über tragisch, bis „open end“ und bei dessen erstem Ansehen den Betrachter das beunruhigende Gefühl überkommt, dass dieser „Schmetterlingseffekt“ Teil des Lebens eines jeden ist: wie oft erinnern wir uns an Handlungen, die wir irgendwann in unserem Leben vorgenommen haben und die für drastische Veränderungen in unserem Leben, dem unserer Bekannten oder unserer (Begleit-)Tiere verantwortlich waren?

Aus tiermedizinischer Sicht kann der „butterfly effect“ auch als Metapher für die differentialdiagnostische Liste gesehen werden, welche bei der klinischen Untersuchung von fundamentaler Bedeutung ist und innerhalb derer bei nicht erfolgreicher Findung einer Diagnose wieder in der Liste „zurückgegangen“ oder gar der Untersuchende ausgetauscht werden muss, um die Situation neu zu starten. In diesem Zusammenhang können im Rahmen des medizinischen Untersuchungsganges zunächst unscheinbare, geringfügige, durch den Patientenbesitzer, das Tier oder durch die Tierärzt*Innen bewusst oder unbewusst herbeigeführte Einflussnahmen zu gravierenden und überraschenden Folgen führen – wie im Film! Der „Vibe“ der Entstehungszeit des „Schmetterlingseffektes“ aus den 70ern und 90er Jahren wurde musikalisch durch einen musikalisch progressiven, retro-style und durch eine prägnante Bass-line geprägten Videoclip einer argentinischen Newcomer-Band („Pacifica“ - „With or without you“) vermittelt.

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Die differentialdiagnostische Liste, Triade in der Tiermedizin sowie Unwägbar- und Unberechenbarkeiten in diesem komplexen System und sich hieraus ergebenden überraschende Fälle und Situationen im globalen Zusammenspiel in der Zoo- und Wildtiermedizin, in klinischen-praktischen Situationen aus der Pferdemedizin sowie wissenschaftlich tierversuchsbezogenen Situationen aus der Exotenmedizin wurden im zweiten Vortragsteil in einem Gemeinschaftsvortrag durch Dr. Julia Gräfin Maltzan (Wildtierpraxis München; Fachtierärztin für Zoo-, Gehege und Wildtiere sowie Fachtierärztin für Wildtiere und Artenschutz), Prof. Anna May (FTA für Innere Medizin der Pferde, Diplomate des European College for Equine Internal Medicine (Dip ECEIM) an der Klinik für Pferde der LMU München) sowie Herrn Prof. Dr. Rüdiger Korbel (FTA für Geflügel, einschl. TG Zier-, Zoo-, Wild- & Greifvögel, ZB Ophthalmologie, Dip. Europ. Coll. Zool. Med. (avian) an der Münchener „Vogelklinik“ der LMU München) vorgetragen. Im Vortrag von Julia Maltzan wurden globale Zusammenhänge und aktuelle Herausforderungen in der Zoo- und Wildtiermedizin vor dem Hintergrund der „Tiermedizinischen Triade“ fachlich fundiert, unterhaltsam aber auch kritisch beleuchtet.

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Anna May referierte fachlich fundiert anhand mehrerer überraschender Fallbeispiele aus der Pferdemedizin die komplexen Zusammenhänge der differentialdiagnostische Liste und mögliche Einflüsse und Lösungen durch die in der tagtäglichen Praxis involvierten Protagonisten, wobei ihr in eindrucksvoller Weise der Brückenschlag gelang, sowohl etablierte Praktiker*innen, ebenso wie nicht mit der Fachmaterie der Pferdemedizin Vertraute, als auch die Studierenden fachlich „mitzunehmen“ und dabei gemäß dem Ziel der Veranstaltung eines „Edutainment“ auf hohem Niveau Fachliches detailliert auszuführen und u. a. mit Aspekten aus der Fohlenmedizin auch „einen Vortrag für das Herz“ zu bieten.

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Rüdiger Korbel zeigt im abschließenden Vortrag anhand eines Beitrages aus der Exotenmedizin mit einer durch sein Forschungsteam in den USA sowie in Wien durchgeführten Studie zur Fluoreszenzangiographie am Vogelauge, dass die Metapher des „butterfly effect“, die Unberechenbarkeit komplexer, deterministischer Systeme, durch menschliche Einflüsse auch für wissenschaftliche, forschungsbezogene Konstellationen Gültigkeit hat. So konnte gezeigt werden, dass die Beantwortung der jahrzehntelang ungelösten Frage nach der Funktion und Funktionsweise des Augenfächers (Pecten oculi) am Augenhintergrund der Vögel letztlich durch einen menschlich herbeigeführten Zufall gelöst wurde.

Mit mehr als 160 Teilnehmern, davon rund 85 Teilnehmern im Hörsaal sowie weiteren 80 Teilnehmern online, war die Veranstaltung ein großer Erfolg. Die nicht der Gestaltung üblicher wissenschaftlicher Tagungen folgende hybride und multimediale Konzeption der Veranstaltung profitierte dabei auch von den umfangreichen technischen Möglichkeiten des Hörsaals auf dem neuen Campus der Tierärztlichen Fakultät in Oberschleißheim. Der Tierärztlichen Fakultät (Dekan Prof. Dr. R. Straubinger) ebenso wie dem Tierärztlichen Bezirksverband Oberbayern (TBV) (Vorsitzende Frau Dr. Sue Chandraratne) dankt die Münchener Tierärztliche Gesellschaft für die seit ihrer Gründung vor 151 Jahren gewachsene und auch aktuell wieder sehr konstruktive und zielorientierte Zusammenarbeit. Stellvertretend für das gesamte Team danken wir Frau Dr. Düfert-Kammerloher für die sehr zeitaufwendige und perfekte Organisation, ohne welche die Veranstaltung in dieser Form nicht hätte realisiert werden können.

Es ist geplant, die Inhalte der Veranstaltung in Form eines Podcast u. a. auf der Webseite der Münchener Tierärztlichen Gesellschaft (www.mtg1873.de) zu publizieren. Hier finden Sie dann in naher Zukunft neben der Historie und einem Archiv mit Kurzzusammenfassung vergangener Veranstaltungen auch Informationen und Einladungen über aktuelle und künftige Veranstaltungen.

Die 1793 gegründete Münchener Tierärztliche Gesellschaft arbeitet in enger Zusammenarbeit mit der Tierärztlichen Fakultät der LMU München und dem TBV zusammen und hat den Zweck, die wissenschaftliche Fortbildung auf dem Gebiet der Tiermedizin sowie die Eintracht der Münchener und bayerischen Tierärztinnen und Tierärzte zu pflegen sowie zu fördern. Der Zweck soll erreicht werden durch wiederkehrende Versammlungen mit wissenschaftlichen Vorträgen und durch geselliges Zusammensein sowie zumNetzwerken und fachlichen Austausch der Mitglieder und ihrer Familien. Tierärztliche Teilnehmer*innen erhalten entsprechende ATF-Bescheinigungen. Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt aktuell lediglich 40 Euro.

Werden Sie Mitglied! (www.mtg1873.de)